Ich bin weil du bist
Das ist der Titel des diesjährigen Hungertuches von misereor. Eine Einladung, in der Fastenzeit sich immer wieder mit dem Bild und seiner Ausstrahlung und in der Folge mit dem zu befassen, was es in uns selbst anspricht und anklingen, vielleicht auch anfragt und herausfordert, auseinanderzusetzen.
Die einleitende Lesehilfe von MISEREOR kann dazu Hilfe sein.
Ich bin, weil du bist
lautet ein bekanntes afrikanisches Sprichwort. Es drückt die Vorstellung aus, dass es zum Menschsein dazu gehört, Teil eines Beziehungsnetzes mit Gott, den Mitmenschen und der Natur zu sein. Eine universale Geschwisterlichkeit und die Verantwortung für unser „gemeinsames Zuhause“ verbindet alle Menschen miteinander, betont Papst Franziskus. In künstlerisch ansprechender Weise vertieft das Bild diesen Zusammenhang zwischen Umkehr und Solidarität. Der nigerianisch-deutsche Künstler Chidi Kwubiri gestaltete zwei gleich große Leinwände in leuchtendem Grün und Gelb, die durch einen schmalen Zwischen-Raum Abstand halten und gemeinsam das Hungertuch bilden. Er zeigt zwei Menschen in intensiver Begegnung an einer Grenze, die nicht zerschneidet, sondern Brücke wird: Sie schauen sich an. Sie halten einander. Weder Mann noch Frau: Erst kommt der Mensch und dann das Geschlecht, betont der Künstler.
Grenze als Ort der Begegnung
Vom Hungertuch lässt sich nicht sprechen ohne zu erzählen von überfüllten Flüchtlingsbooten, von dichtgemachten Grenzen und hochgezogenen Mauern. Flucht hat viele Gesichter. Schauen wir sie uns an.
Das Hungertuch zielt auf einen respektvollen Dialog mit allen und kann helfen, manch altbekanntes Thema in neuer Perspektive zu sehen. Es ermutigt zur dringend notwendigen Kooperation mit Anders-Denkenden und zum Dialog auf Augenhöhe mit anderen Religionen und Nicht-Religiösen in einer vielschichtigen Gesellschaft: Ein Hungertuch für alle, die ohne Berührungsängste Spaltungen überwinden und über Gräben springen wollen!
Chidi Kwubiri, geboren 1966 in Umuahia / Nigeria, ist ein international bekannter und viel beachteter Künstler; er absolvierte die Düsseldorfer Kunstakademie bei Prof. Buthe und Prof. A. R. Penck (Meisterschüler); heute lebt er mit seiner Familie in Pulheim bei Köln. Das Zusammenspiel von bunt
gespritztem Hintergrund und perfekt ausgeführtem Pinselstrich ist charakteristisch für Chidi Kwubiris einzigartigen Stil.
Er sagt zu dem Hungertuch:
„Was mich inspirierte, sind die beiden längsten Flüsse in Nigeria: die Ströme Niger und Benue. Sie fließen zusammen und existieren friedlich nebeneinander, obwohl sie aus verschiedenen Quellen stammen. Wenn diese Naturkräfte tatsächlich zusammenkommen, sich gegenseitig ihren Eindruck aufprägen, sich gegenseitig halten, sich ansehen und sich sagen können: ‚Schau, ich bin, weil du bist‘, dann ist das genau das, was ich versuche auszudrücken. Es geht um Vielfalt und Einheit: auch wenn wir verschiedenen Ursprungs sind und verschiedene Identitätenhaben, sind wir doch immer wir. Wir wenden uns dem Anderen zu und sagen unserem Gegenüber: ‚Ich bin, weil du bist.“[Chidi Kwubiri]
Utta Hahn